Noch schnell eine Email verschicken. Dann den Laptop zuklappen, nach dem Autoschlüssel greifen und schon geht’s los. Zu einem neuen Termin. Einem ganz anderen als sonst. Und zum ersten Mal nehme ich dafür die neue Autobahn. Es sind nur 8km und trotzdem bedeutet dieses Stück A33 für uns Bielefelder sehr viel. Es ist ein weiterer Schritt in Sachen Mobilität. Denn noch vor nicht allzu langer Zeit mussten wir ganz schön lange fahren, um die erste Autobahnauffahrt zu erreichen, haben fast eine Stunde gebraucht, um nach Paderborn zu kommen, das gerade einmal 50km entfernt ist.
Doch heute fahre ich in die andere Richtung. Richtung Osnabrück. Bis nach Halle/Künsebeck. Dann verlasse ich die Autobahn auch schon. Nehmen hätte ich sie nicht müssen. Doch nachdem sie nun endlich geöffnet ist, hatte ich eh schon auf eine Gelegenheit gewartet, endlich mal das neue Stück Autobahn zu fahren. Heute stelle ich fest, es sind eben nur 8km.
Soll toll sind die eigentlich auch nicht. Und bis man wirklich nach Osnabrück direkt durchfahren kann, vergehen wieder noch mehrere Jahre. Heute fahre ich aber eben nur nach Halle, beziehungsweise in die Gegend zwischen Halle und Werther, nach Ascheloh. Das sagt selbst einigen Bielefeldern schon nichts mehr.
Zwischen Halle und Werther ist es sehr ländlich
Die Gegend zwischen Halle und Werther ist besonders ländlich, hügelig und wunderschön. Die Straßen werden immer kleiner, führen zwischen Wiesen und Wäldern hindurch, bis sie fast aufhören. Denn das letzte Stück ist nicht viel mehr als ein asphaltierter Weg. Mein Navi verliert sein Signal. Der Handyempfang ist längst weg. Bin ich hier wirklich richtig? Muss ich wohl. Denn plötzlich sehe ich ein Schild. Angekommen. Nach rund 20 Minuten Fahrt bin ich in einer ganz anderen Welt.
Es erinnert ein bisschen ans Auenland, nur eben die ostwestfälische Version davon. Die Häuser sind etwas größer als die der Hobbits. Es ist Fachwerk, nicht direkt in den Hügel gebaut, nur sich anschmiegend. Beim Aussteigen fällt mein Blick auf den frisch gepflügten Acker, der direkt bis an den Weg heranreicht. Kein einziges Unkraut wächst dort. „Wie geht das?“, frage ich mich. Meine 12 Quadratmeter Gemüsebeet sehen nie so aus. Selbst dann nicht, wenn ich stunden- und tagelang versucht habe, sämtliches Unkraut zu entfernen.
Die Antwort auf meine Frage soll ich nicht viel später bekommen. Es ist eine traurige. So viel kann ich jetzt schon verraten, ohne den Spannungsbogen aufzugeben.
Insektensterben, Artenschwund und Probleme durch die Landwirtschaft
Ich bin zu einem Pressetermin eingeladen. Es geht ums Landleben, um Frühblüher, um Insekten und Schüler, um Artenvielfalt. Die Grundschüler aus Künsebeck wollen sehen, was aus den Zwiebeln und Knollen geworden ist, die sie im letzten November gesetzt haben. Doch zuerst ist nur die Presse da. Und Blogger. Einer außer mir.
Ich erfahre etwas über die Aktion, über Bioland als Verband, der es initiiert hat und über die Familie Schneiker-Bekel, die den Biohof-Ascheloh im Nebenerwerb betreibt. Sie haben Schafe, Hühner und seit Kurzem auch Bienen. Dazu kommen noch alte Obstsorten. Und sehr schnell wird mir klar, dass das hier eine ganz andere Welt ist als die, aus der ich komme.
Ich bin ein Stadtkind. Geboren, aufgewachsen und geblieben. Mitten drin. Und auch wenn ich einen Großteil meiner Kindheit und Jugend auf Ponyhöfen und im Garten meiner Großeltern verbracht habe, dann bin ich trotzdem Stadtmensch geblieben. Auch wenn ich liebend gerne einen alten großen Bauernhof mit allerlei Tieren besäße. Stattdessen habe ich einen kleinen Schrebergarten und eine Reitbeteiligung. Meine Oasen, die mit der Realität trotzdem nicht viel gemeinsam haben. So viel ist mir jetzt schon klar. Denn von Landwirtschaft, von den großen Flächen habe ich wirklich keine Ahnung.
Bienen, Hummeln, Schmetterlinge und Falter: wir brauchen sie ebenso wie die Natur
Vom Bienensterben hat wohl jeder schon einmal gehört. Doch wenn ich in meinem Garten sitze, dann fliegen sie zu Hunderten meinen Oregano an, der so ziemlich das einzige ist, was bei mir ganz prächtig wächst, neben Katzenminze, die die Bienen auch ganz großartig finden. Unter meiner Hütte wohnen Hummeln. Schon immer. Und ich achte daraus, dass ihre Zugänge immer frei sind. Ob es immer die gleichen oder immer wieder neue Hummeln sind, weiß ich nicht. Aber sie wohnen da. Und mir ist das recht. Schließlich brauche ich den Unterboden meiner Hütte nicht.
Aber es gibt nicht nur Hummeln und Bienen, sondern auch viele verschiedene Schmetterlinge, von Zitronenfaltern, über Kohlweißlinge, über Pfauenaugen und kleine oder große Füchse, so genau kenne ich mich dann doch nicht aus, dazu Schwebefliegen und allerlei anderer nicht so hübsch aussehender Falter und jede Menge Regenwürmer. Die sind groß und dick und überall. Genauso wie die Ameisen, die zum Glück ihren Bau nun verlegt haben. Den Winter über haben sie in meinem Kompost ein ganzes Tunnel- und Bergsystem angelegt.
Biohof-Ascheloh: ein Bioland Betrieb mit alten Schafrassen und Streuobstwiesen
Aber während des Pressegesprächs in Ascheloh wird mir dann doch sehr schnell klar, dass das nicht die Regel, sondern die Ausnahme ist. Ich lebe in einer Oase, die ich mir bewusst oder unbewusst geschaffen habe. Fast ist es so, dass mir die Stadt grüner als das Land erscheint. In meinem Garten sind die Welt und das Ökosystem noch in Ordnung. Aber drum herum nicht. Wobei mir die Vögel mittlerweile so ziemlich die komplette Beerenernte wegfressen und ich das gar nicht nett finde.
Verlasse ich die Stadt, um einen Ausritt zu unternehmen, dann ist auch das nicht repräsentativ, befürchte ich. Natürlich gibt Landwirtschaft, sogar Mais, aber die hier ist längst nicht so ausgereizt wie anderswo. Auch wenn ich mich schon länger darüber ärgere, dass die Feldränder weniger oder kleiner werden. Immerhin sind sie noch da. Und hier blüht es noch.
Das meiste sind dann doch nur Wiesen, die nur zweimal gemäht werden. Anderswo ist das anders. Es gibt Kornblumen und Klatschmohn und vieles andere, was für die Artenvielfalt und die Insekten wichtig ist. Es gibt Fasane und Rebhühner, Spechte und auch eine große Eule oder ist es ein Uhu?, die ich im Wald und auf den Wiesen immer mal wieder treffe. Neben Kaninchen treffe ich sogar Feldhasen. Habt ihr die schon mal zur Paarungszeit beobachtet? Man möchte kaum glauben, dass sie friedliche Nagetiere sind, deren Verwandte wir oft als Haustiere halten.
Leben Fasane in Patchwork Familien?
Und wann immer ich Familie Fasan treffe, frage ich mich, ob die in Patchwork-Familien leben. Denn es sind offensichtlich mehrere weibliche und mehrere männliche Tier dabei, dazu unterschiedlich alte Jungtiere. Alles wirkt so friedlich. Und jedes Jahr scheint die Herde größer zu werden. Aber zur Familie Fasan gibt es bald an anderer Stelle noch mal mehr.
Zurück zu meinem Pressetermin, der mich an diesem frühsommerlichen Nachmittag mitten im April unsanft auf den Boden der Tatsachen holt. Die Natur hat sich verändert, vor allem auf dem Land. Das ist mir jetzt auch klar. Die Zukunft ist nicht irgendwann. Sie ist jetzt. Und wir alle können etwas dafür tun, dass es nicht noch weniger Insekten, nicht weniger Blumen und nicht weniger Vielfalt gibt. Wir alle können helfen, dass es besser wird, statt immer nur schlechter.
Welchen Stellenwert Frühblüher für die Natur haben, war mir nicht klar. Natürlich setze ich im Herbst immer wieder neue Zwiebeln und Knollen und hoffe, dass die Wühlmäuse nicht alle holen werden. Aber bisher habe ich das nur für mich gemacht. Damit ich im Winter und Frühjahr auch etwas Schönes im Garten haben, nicht nur die vertrockneten Pflanzen und Gräser aus dem Vorjahr. Schneeglöckchen, Korkusse, Narzissen, Tulpen und dann geht es weiter mit Alium, Pfingstrosen und der Apfel- und Fliederblüte.
Je länger die Blütezeit, desto mehr Nahrung für Insekten
Aus einem ganz persönlichen Interesse heraus habe ich eine möglichst lange Blütezeit in meinem Garten geschaffen, über die sich die Natur freut. Und eigentlich kann das jeder, der einen Garten, eine Terrasse oder auch einen Balkon hat. Selbst städtische Flächen können oft bepflanzt werden, erfahre ich auf dem Biohof von Familie Schneiker-Bekel. Und mal ehrlich: freuen wir uns nicht alle über schöne Blumen? Warum sollten Verkehrsinseln nicht in den schönsten Farben leuchten, statt immer nur Gras, das gemäht werden muss.
Landwirte stellen Flächen zur Verfügung, die für die Selbstversorgung geeignet sind. Das ist nicht nur für ernährungsbewusste Menschen interessant, sondern auch für Familien mit Kindern. Obwohl ich in der Stadt groß geworden bin, musste ich Erbsen schälen, Spinat ernten und waschen und immer wieder Erdbeeren und Kartoffeln aus Opas Garten holen. Aber eine lange Zeit haben Kinder das nicht mehr gemacht. Obst und Gemüse hatten lange Zeit nur noch Oma und Opa im Garten. Jetzt wird es seit einigen Jahren wieder mehr.
Vieles davon ist einfach, macht Spaß und ist ein wunderbarer Ausgleich zum Büroalltag. Und ja, ich weiß, Zeit ist kostbar und sie fehlt am Ende des Tages oft. Und trotzdem ist gar nicht viel nötig, um uns, unseren Kindern und der Natur dabei zu helfen, sich selbst zu helfen. Und das bedeutet eben auch, unseren Konsum anzupassen. Denn wenn wir nicht bereit sind, einen entsprechend hohen Wert für unsere Lebensmittel zu bezahlen, dann kann sie auch niemand ökologisch, nachhaltig und fair produzieren.
Warum machen wir Unterschiede zwischen den Tieren?
Warum machen wir einen solchen Unterschied zwischen unseren Haus- und Nutztieren. Unsere Katzen, Hunde und Pferde (zu denen komme ich später noch mal) leben fürstlich und ihnen fehlt es an absolut nichts. Wenn das Kilo Futter dann mehr als 10€ kostet, wundern wir uns zwar, zahlen aber willig. Denn unsere Liebsten sollen nur das Beste bekommen.
Wenn wir dann aber für ein Ei 40 Cent bezahlen sollen, dann überlegen viele dreimal. Auch wenn ich behaupten möchte, dass es in Sachen Eier in den letzten Jahren aufgrund vieler erschreckender Bilder ein größeres Umdenken gegeben hat, als in anderen Bereichen der Landwirtschaft und Nahrungsmittelproduktion.
Wir können selbst entscheiden, welchen Weg wir gehen. Wie glückliche Hühner aussehen, habe ich gerade erst gesehen. Und so schwer ist die artgerechte Haltung nicht. Hühner brauchen Sand zum Scharren und Wälzen, Bäume und Sträucher, um sich zu verstecken und etwas Platz. Wenn ich dann daran denke, dass vor nicht allzu langer Zeit noch Hühner in Käfigen, zu Tausenden gehalten werden durften, wird mir schlecht.
Was kostet ein gutes Gefühl?
Denn auch wenn ich mein Frühstücksei, nach Möglichkeit direkt beim Bauern, sonst im Supermarkt kaufe, das ausschließlich aus Bio-Betrieben, die meinen persönlichen Vorstellungen entsprechen, beziehe, dann bleiben noch so viele andere Dinge, in denen Eier und andere tierische Produkte verwendet werden, die eben nicht aus artgerechter Haltung stammen. Auch da müsste ich noch viel konsequenter sein. Zuhause bin ich das meist. Aber auswärts wird es dann doch oft ganz schön schwer. Gleichzeitig bin ich aber auch niemand, der schwarz oder weiß denkt. Jeder Schritt in die richtige Richtung ist ein guter.
Lange habe ich mich zu diesen und ähnlichen Themen auf dem Blog lieber zurückgehalten. Denn ich weiß, dass es wie immer und überall auch Menschen gibt, die anderer Meinung sind. Aber das ist in Ordnung. Mehr noch, es ist gut. Solange wir uns mit den Dingen um uns herum beschäftigen und uns unsere eigene, kritische Meinung bilden, können eigentlich alle davon nur profitieren. Trotzdem wünsche ich mir natürlich mehr Toleranz für andere Meinungen. Denn jeder setzt Maßstäbe anders und für jeden bedeutet ein guter Schritt etwas anderes.
Es gibt einiges zu tun
Ich habe auf jeden Fall noch einiges, was ich besser machen kann. Müll und Plastik vermeiden zum Beispiel. Aber das Ganze hat auch etwas Positives. Jetzt habe ich kein schlechtes Gewissen mehr, wenn mein Rasen mal wieder viel zu lang ist oder ich mal eben das Gemüsebeet für ein blaues Vergissmeinnicht-Meer zur Verfügung gestellt habe.
Und jetzt weiß ich auch, dass Schafe ideale Biotoppfleger bzw. Rasenmäher sind.
Gerade alte und robuste Schafrassen, wie die auf dem Biohof Ascheloh, also Waldschafe, Skudden, Rauhwollige Pommersche Landschafe und Graue Gehörnte Heidschnucken, sind perfekt für unebenes Gelände oder nasse Wiesen, aber auch für die Streuobstwiesen. Überall dort, wo ein Rasenmäher kaum oder nur schlecht zum Einsatz kommen kann, helfen die Schafe, die auch gleich den Dünger mitbringen. Sollte ich also doch irgendwann noch mehr Fläche zu mähen haben, dann brauche ich Schafe. Auch wenn die Böcke von mir weniger begeistert waren als ich von ihnen.
Hey, ja ich kenne die Ecke und finde die auch super schön. Danke für die tollen Bilder dazu!
Liebe Grüße an dich!
Die Ecke ist so wunderschön. Super idyllisch und so niedlich ;). Hab eine tolle Woche, meine Liebe <3
Die Bilder sind richtig schön geworden. Die Sache mit dem Artenschwund ist wirklich mies. Da lief letzten bei uns auch im Radio was zu, dass unsere heimischen Vögel nicht mehr genug zu fressen finden, es kaum noch Insekten gibt (wobei bei uns in die Wohnung sich regelmäßig welche verirren)… An dem Thema Müll und Plastik vermeiden müssen wir auch noch unbedingt arbeiten. Es ist unglaublich wie viel Verpackungsmüll sich bei uns ständig ansammelt.
Danke dir, Liebes!! Die Entwicklung ist wirklich gar nicht schön… Und ja genau, die Vögel finden nicht mehr genug zu essen, weil es so viele Insekten nicht mehr gibt. Bei uns sind auch immer noch reichlich ;). Aber es ist eben die Vielfalt, die nicht mehr so da ist. Da ist schon wirklich erschreckend. Und es gibt glaube ich sehr viele Dinge, die man ganz leicht besser machen kann, ohne sich groß einschränken zu müssen. Da kann man wirklich immer noch besser werden.